Art Talk
Liebe Kunstfreundinnen, liebe Künstlerinnen
ich spreche zu Ihnen zu Euch über meine Arbeit im System Kunst
Vor einem Monat wurde ich von Hanna Gagel angefragt, ob ich bereits in meiner dritten Lebensphase angekommen sei. Ich musste etwas überlegen, nein eigentlich bin ich bereits in meiner fünften Phase. Denn bekanntlich ist das Leben der Künstlerinnen nie eine Direttissima. Sie gehen auf Umwegen. ..dies war auch bei mir. Bevor ich mich ernsthaft mit der Kunst auseinandersetzte, hatte ich bereits Erfahrung in verschiedenen Berufen.
Nach meinem Mittelschulabschluss habe ich vorerst mal in der weiten Welt geschnuppert und so ziemlich alles rund um die Kunst herum gemacht, So arbeitete ich bei einer Kunstgalerie, im Auktionshaus Fischer, in der Werbung und PR , erwarb Fachdiplome bis ich mich entschloss, anfangs der 80iger Jahre, mit 32 Jahren und als gut verdienende Werbe- und PR-frau in die USA auszuwandern und trotz all den Bedenken von Familie und Bekannten die Kunst zu meinem Beruf zu machen. (meine besten Freunde fanden es super).
In Bosten studierte ich an der Tuffts University und an der School of Museum of Fine Arts, am Lesley College und machte einen MA in Art Therapy und einen Bachelor in Fine Arts. Während und nach erfolgtem Abschluss arbeitete ich als Kunsttherapeutin und Kunsterzieherin für das Boston School Board. Die ersten „folding pieces“ sind entstanden, fast könnte man sagen umstandshalber. Ich hatte nämlich keinen Platz, die Bilder zu lagern, und hatte mich deshalb entschlossen, sie zu falten und zusammenzulegen.
Sie werden sehen, in all den Jahren meiner künstlerischen Tätigkeit hat sich nicht viel geändert. Ich betrachte die Welt mit den Augen einer Malerin, da die Farben, die vor allem die Atmosphäre wiedergeben, den Vorrang haben. Ob ich nun den Pinsel, die Hände oder die Foto- oder Videokamera als Werkzeug einsetze, ich bin Malerin geblieben.
Wenn wir jetzt die „folding pieces“ betrachten, die zum Teil in den 80iger Jahren in den USA entstanden sind, waren sie schon damals als flexible Elemente gedacht. Sie können zusammengeklappt werden als Skulptur oder als Wandelement präsentiert werden. Sie sind ein Beispiel dafür, Dinge zu wandeln und zu verwandeln – ein Sowohl-als-Auch. Damals inspirierte mich die japanische Kunst, die im Sinne unseres westlichen Kunstbegriffs keine Abbildungen, nämlich Bilder als Dekoration kennt. Dort ist Kunst immer ein Teil der Architektur oder wird zur religiösen Betrachtung und Meditation in Form eines Schriftbildes eingesetzt.
Ich möchte hier einen kurzen Blick, auf mein aktuelles Schaffen werfen, denn in meiner bis heute anspruchsvollsten und sehr komplexen Kunst am Bau im BBZ in Weinfelden, sind die beiden gestalteten Wände im Einklang und verwandt mit diesen frühen expressiven Formen. Mehr davon jedoch später, ich möchte lediglich eine Brücke zum aktuellen Schaffen herstellen.
Anfangs der 90iger Jahre kam ich von Boston nach Weinfelden, zurück in die Schweiz und habe das Haus Felsenburg, das Elternhaus meiner Mutter umgebaut und renoviert. Als Kind war ich hier bei meinen Grosseltern in den Ferien. Das grosse Bürgerhaus mit 14 Zimmern und die angebaute Scheune wurden in Etappen umgebaut und ich legte selbst viel Hand an um Kosten zu sparen. Der Umbau sollte mir ermöglichen keine Miete für das Wohnen zu bezahlen zu müssen. Die Rechnung is aufgegangen.
Während des Umbaus habe ich jeweils am frühen Morgen die Bauführung gemacht. Ich musste lernen mit der derben Sprache der Handwerker umzugehen. Nachmittags war ich dann die geduldige Kunsttherapeutin in der Psychiatrischen Klinik Rheinau, mein Brotjob. Er machte mir viel Freude, kostete aber auch sehr viel Energie.
Nach einer 3-jährigen Umbauphase konnte ich mich wieder mehr dem künstlerischen Schaffen widmen. Es war eine intensive Zeit, ich war eng mit der Architektur und dem Bauen verbunden und lernte dabei neue Materialien und räumliches Denken kennen. Diese neue Ausrichtung hat auch meine künstlerische Arbeit beeinflusst und es entstanden mehr und mehr räumliche und themenbezogene Installationen. Ich suchte für die Umsetzung meiner Ideen das jeweilige passende Material oder Medium und bewegte mich zwischen den künstlerischen Disziplinen.
Eines dieser ersten Werke konnte ich während den Frauen-Kulturtagen in der alten Remise in Weinfelden (heute genutzt als Sommeratelier für Künstler) zeigen. Diesen ehemaligen Räumen der alten Apotheke, der Pulverkammer und der Teekammer habe ich eine neue Bedeutung eingehaucht. (Jap. Teehaus: Chaiatzu und Powderroom) transparente Gefässe geformt aus Papier, Wachs & gebranntem Ton. versch. Gerüche haben sich vermischt und den Raum parfümiert.
1996 Kunsthalle Wil
Eine weitere, grössere, räumliche Arbeit habe ich für die Kunsthalle in Wil realisiert, wo ich auf den grossen Raum mit transparenten „Raumbilder – Bilderräume“ reagiert habe. Die Bilder waren Wasserimpressionen von einer Segelreise in der Karibik, digital gedruckt auf eine transparente Textile Struktur, ein Hightech Material, dass ich über die Jahre hinweg immer wieder verwendet habe. Die Betrachter konnten den ganzen Raum durch diese transparente Bilder erfahren und Erlebnisräume wahrnehmen. Der Raum wurde zum „Bildraum“, zum begehbaren Bild, welches ganz verschiedene Ansichten zuliess, ohne Festlegung einer Blickrichtung, von hinten und vorne, früher oder später: frei. Eine Synthese zwischen emotionalem Gehalt und gestaltetem Raum, zwischen Erinnerung und räumlicher Wahrnehmung.
Das selbe Material konnte ich verwenden für das Rotkreuz-Spital. hier waren es jedoch Projektionen von Blutbildern.
1997/98 IG-Halle Rapperswil, Mettlenpark, Muri b.Bern, Genf
Für eine grössere jurierte Gruppenausstellung wurden die mehrteiligen Bild- und dreidimensionalen Faltobjekte in feste folding pieces aus Zinkplatten umgewandelt. Aus dem Halbkreis * geformte, abgekantete Zinkorbleche (300 x 150 cm) wurden mit den Primärfarben * (gelb, rot, blau) auf der breiten, offenen Seite (die weibliche Seite) und den * Komplementärfarben (orange, violett und grün) auf der Rückseite, der spitzigen, der männlichen Seite bemalt. Bei diesen Objekten sind nicht mehr die Beziehungen zu den einzelnen Farbplatten im Vordergrund, sondern zu den einzelnen Raumkörpern. Sie leiten die Auseinandersetzung mit raumgestaltenden Installationen und der Architektur ein. Heute steht diese „Folding-Trilogie“ im Hôpital Cantonal in Genf.
1999 schwarz, Kunsthaus Zürich
eine jurierte Gruppenausstellung im Kunsthaus in Zürich ist heute undenkbar. Aber im letzten Jahr des letzten Jahrhunderts, 1999 wurde uns der grosse Raum für eine reine Frauenausstellung der GSBK Zürich zur Verfügung gestellt.
Im grossen Saal des Kunsthauses habe ich 1 Tonne Kohle Stück um Stück aufgeschichtet und zu einer Pyramide mit der Basis 2x2x1.5m aufgebaut, eines der ältesten, architektonischen Symbole der Menschheit. Die Anthrazit-Kohle hat ein Alter von 340 Mio. Jahre und ist ursprünglich organisches Material. Die passende Form mit dem dazugehörigen Material sollte das Thema der Ausstellung „Schwarz – die dunkle Schönheit der Seele“ treffend bildlich darstellen.
Der formale Inhalt und die Aussage bilden eine Einheit. Mir ist es gelungen mit Form, Farbe und Material ein Symbol zu verkörpern. Von zentraler Bedeutung ist das universale und zeitlose Element, welches meiner „Zeitskulptur“ die starke Ausdruckskraft verleiht.
Reisen im System Kunst
Reiseeindrücke waren für Künstler immer sehr wichtig. und sind es auch für mich, da ich viel unterwegs war und bin. Auf meinen langen Reisen oder bei Atelier Aufenthalten gewinne ich wichtige Inhalte und neue Erkenntnis und verwebe diese Eindrücke dann zu einem prozesshaften Ganzen.
Nebst Malerei und thematischen Installationen, habe ich in den letzten Jahren auch einige Videoarbeiten geschaffen. Vor allem unterwegs ist Video mein bevorzugtes Medium, um meine Eindrücke zu verarbeiten. Ich gestalte es als digitales Reise-Tagebuch, um Bezüge oder Verbindungen zu andern Kulturen und Zeitepochen digital festzuhalten. Somit wird Zeit im Raum dargestellt
So zum Beispiel die Arbeit „la femme phare“, 1999. Eine Videoarbeit, wo ich mich in den Fußstapfen von Ella Maillard (Wegbegleiterin von Annemarie Schwarzenbach)nach Indien begab und einen Reise-Tagebuch-Dialog mit ihren Fotografien entwickelte. Ihre s/w Fotografien waren mein Reiseführer, mein Routenplaner.
Barcelona, 2000
Ende 1999 bekam ich ein Stipendium und konnte in einem Atelier mitten in Barcelona arbeiten mit Blick auf die Sagrada Familia und aufs Meer. Ich war fasziniert von den Tönen und Klängen, die bis in mein Atelier im 14 Stock drangen und habe mich vor allem auch an den Sing Sang des Katalanischen gewöhnen müssen. Es war schwierig, denn der Barcelonese spricht nicht gerne Spanisch.
Es entstanden Klangbilder und der Werkzyklus „Paper - Pigment and Photographs“. Die Zwischenstück, die Fotografien, entstanden auf der Reise, die den flüchtigen Moment einer Begegnung festhielten. Im Atelier wurden diese Zwischenstücke mit Pigmentfelder ergänzt und verdichtet. Aufgetragenes Pigment, zum Teil natürliche Gewürzfarben, wurden mit den Händen in selbst geschöpftes Papier aus Sikkim einmassiert.
Im Sunareal in Bürglen habe ich dann diese Reiseeindrücke „der schauenden Wanderin“ zu einem Fries gestaltet und als Barcelona-Zyklus präsentiert.
Heute sind die meisten dieser Schaukästen in der Sammlung der Thurgauischen Kantonalbank und in der Sammlung des Thurgauischen Kunstmuseums.
Später sind ähnliche Arbeiten zum selben Thema jedoch mit andern Materialien entstanden. (Hier Glassplitter auf Glas mit Fotografien aus Brasilien, ein Ausschnitt eines Diptychon 2008
L’ installation aquatique “floating“ im Centre d‘ Art en l’ île in Genf, 2002
Die Installation aquatique „Floating“ im Centre d’art en l’ île in Genf. Ich habe hier mit dem Gebäude in Form eines Schiffes inmitten der Rhône gespielt. Bojen wurden seitlich in die Rhône gehängt. Im Gebäudeinneren wurden ebenfalls transparente Bojen als Skulpturen hingestellt und im Bug war ein Video mit speziellen Unterwasseraufnahmen zu sehen. (Marine Life) . Die Bojen wurden in mühseliger Handarbeit mit Poyester selbst hergestellt. (alles klebte)
Im Herbst konnte ich die Bojen dann im Bad Utoquai im Zürichsee platzieren.
Eine weitere „Wasser-Installation“ habe ich nach Yverdon-les-Bains ins Hôtel de Ville gebracht: „Reflections à Giverney“, die Videoarbeit ist während meines Stipendienaufenthaltes in Paris in der Citée Internationale des Arts 2003/04 entstanden.
Videoaufnahmen vom zauberhaften Monetgarten wurden auf die Wasserfläche im Alubecken projiziert.
Verschiedene In Via Projekte von 2000 – 2006
Über einige Jahre hinweg war ich mit anderen europäischen Künstlerinnen vernetzt. Alle zwei Jahre wurde eine Ausstellung in einem anderen Land organisiert. Es ging dabei vor allem auch um die Begegnung mit anderen Kulturen. Wir Frauen trafen uns in Mallorca, auf dem Splügenpass, in Brüssel und Helsinki. Jede brachte zum jeweiligen Thema einen Koffer als Ausstellungsobjekt mit. Meist wurde dann an Ort und Stelle mit dem jeweiligen Terroir gearbeitet. Es entstand Land Art.
Kunst am Bau Gemeindehaus Rümlang, 2005
Architektur wurde in meinem künstlerischen Schaffen immer wichtiger und ich engagierte mich vor allem bei Visarte Zürich für die Sparte „Kunst am Bau“. Es war und ist immer noch wichtig, dass neue Richtlinien für Gemeinden ausgearbeitet werden. In den grösseren Metropolen gibt es im Baudepartement Stellenprozente, die sich für Wettbewerbe in Verbindung mit Architektur und Kunst engagieren.
Im 2005 wurde ein Wettbewerb für das neue Gemeindehaus in Rümlang auf Einladung ausgeschrieben. Ich habe den Wettbewerb gewonnen und konnte meine Idee von farbig wechselbarem Licht in der Einganghalle realisieren. Die neue LED- (Leuchtschienen)Installation am Lift und die „Chromosuhr“, die ihre Farbe via Computersteuerung stündlich ändert und zwischen den jeweiligen Farben hin- und her pendelt. Diese Farbinstallation wurde von Jung und Alt mit Freuden akzeptiert. Auch sprach der Gemeindevorsteher von einem neuen Image für die Gemeinde. Neue Architektur in Verbindung mit der entsprechenden Kunst bekommt eine zusätzliche Ausstrahlung und eine weitere Dimension.
Kunst am Bau BBZ Weinfelden, 2007
Wie am anfang erwähnt ist die Kunst am Bau im Berufs- und Bildungszentrum in Weinfelden, im Jahre 2007 realsiert, bis zum heutigen Datum die koomplexeste und anspruchsvollste meiner künstlerischen Arbeiten.
Die Meisselwand und die Korrundwand, (Titel meines Werkes) sind hier permanente expressive Teile der Architektur geworden und schaffen eine atmosphärische Einheit mit dem Raum. Sie bekennen ihre Farbe und Formen im Grossen, was ich früher im Kleinen auszudrücken versuchte.
Oftmals bleibt es nur beim Wunsch des Künstlers oder der Künstlerin, eine Arbeit an Ort und Stelle im öffentlichen Bau realisieren zu können.
So kann eine Bauherrschaft ca. 5-8 Künstler einladen, an einem Ideenwettbewerb teilzunehmen, oder wie in diesem Fall, was eher selten ist, wurde ein offener Wettbewerb ausgeschrieben.
Ich war im dritten Rundgang die Gewinnerin der 80 eingegangenen Ideen. Es hat mich doppelt gefreut, für Weinfelden diese künstlerische Arbeit realisieren zu können.
112 m2 Beton habe ich meisseln lassen. Deshalb auch die Bezeichnung Meisselwand.(siehe Katalog) Die rote Wand hatte den Namen Korrund, da ursprünglich mit Korrund die Wand hätte beschichtet werden sollen, auch hier 112 m2.
Es hat sich herausgestellt, dass Korrundum zu grau war. Irgend auf Umwegen bin ich dann auf diese Glassplitter gekommen, die ich dann in einem speziellen Verfahren aufspritzen liess. Das unterschiedlich rote und orange Glas liess ich in verschiedener Körnung mahlen und habe es dann in der nötigen Farbschattierung gemischt.
Mit unzähligen Mustern habe ich die Applikation bei verschiedenem Untergrund getestet und Proben hergestellt. Es geht lange bis eine Idee Gestalt bekommt und dann auch technisch über Jahre hinweg Bestand hat.
Um den Lichtschacht optisch zu erweitern und mehr Licht in den Raum zu bringen, habe ich die Ballustraden mit hochglanzpolierten Chromstahlplatten ausgekleidet. Nebst dem reflektierenden Licht kommt eine weitere Dimension dazu, nämlich die Bewegung und die Veränderung der sich im Raum aufhaltenden Menschen. Die Arbeit hat, wie mir gesagt wurde, eine spezielle atmosphärische Ausstrahlung.
Hier eine weitere Arbeit im öffentlichen Raum. Das Stellwerk in Matzingen, ein Sommer-Kunst Event entlang der Frauenfeld-Wil-Bahn.
Ich habe das Trafohäuschen zum Stellwerk mit dem Symbol der Bahn und Lichtelementen zum Stellwerk umfunktioniert - dem Haus eine neue Bedeutung gegeben.
Bei meiner letzten grossen Arbeit, die ich präsentieren möchte steht auch der Mensch im Zentrum. Der Mensch und die Technik im Zusammenhang mit der Geschichte. Anlässlich des 150 jährigen Jubiläums der Firma Bühler, ein weltweiter Technologie Konzern mit Firmen Sitz in Uzwil, konnte ich letztes Jahr die Firmengeschichte als Kunst im Raum präsentieren. Eine etwas unkonventionelle und andere Form die Geschichte darzustellen: meist geschieht dies mit einem Buch.
Aber mein nächstes Werk wird ein Buch sein, mein zweites Buch über meine künstlerische Arbeit im System Kunst. Fragen ????
Zum Abschluss besteht die Möglichkeit noch eine Videoarbeit zu sehen, wer noch Lust hat. Die Arbeit entstand im 2004 das L‘Année de la Chine in Paris, während meines Stipendium in der Citée des Arts in Paris, mitten im Marrais gelegen. Das Video zeigt die chinesischen Einflüsse in dieser Metropole. Gleichzeitig verknüpfe ich meine Pariser Beobachtungen der Globalisierung und Verschmelzung mit Ausschnitten aus dem Video „the gates“. Die Türen und Tore, Ein- und Ausgänge sollen auch farblich Verbindungen und Brücken zwischen Ost und West herstellen. Die safrangelbe und rote Farben des Buddhismus und Hinduismus ziehen sich durch den ganzen Film, verschmelzen und lösen sich auf.
Doris Naef Art Talk 11/5/ 201