Doris Naef, M.A. Weinfelden
Hängende Gärten
Gärten gibt es an der Oberen Bahnhofstrasse in Wil heute keine mehr. Doch bis in die 1960 Jahre prägten Vorgärten vor einigen der nunmehr abgerissenen Wohn- und Geschäftshäuser das Bild des dortigen Stadtraums. Doris Naef bringt die sommerliche Blumenpracht mit ihren wehenden ‚Rabatten’ temporär zurück. Ausgehend von Nahaufnahmen des Blütendickichts in ihrem eigenen Garten sowie den floralen Motiven der mittelalterlichen Tapisserien in der Rockefeller Sammlung (Cloisters, New York) hat sie eine faszinierende Bildverfremdung vorgenommen und die Naturreminiszenzen zu Farbmosaiken stilisiert. Aus unmittelbarer Nähe betrachtet, sind die Bilder Motive nicht mehr lesbar, aus einiger Distanz hingegen schliessen sich die Bildsplitter optisch zu einem erkennbaren Sujet und lassen die ursprüngliche Garten-Fülle wieder erahnen.
Gärten nicht nur in der Horizontalen anzulegen, sondern Pflanzen auch in der Vertikalen grossflächig anzusiedeln, galt schon in der Antike als Vollendung der Gartenkunst. Davon zeugen die Berichte über die Gartenanlagen in Babylon. Diese als eines der sieben Weltwunder gewürdigten hängenden Gärten von Semiramis haben die Künstlerin zum Titel ihres Werkes inspiriert haben.
Die Faszination für senkrecht angeordnete Pflanzungen lässt heute Architekten Pflanzen-Fassaden entwickeln; berühmt sind die «murs végétals» des französischen Botanikers Patrick Blanc am Musée du Quai Branly und an der Fundación Caixa in Madrid in Zusammenarbeit mit Jean Nouvel bzw. Herzog und de Meron.
Doris Naef bringt mit ihren «Hangings» eine ähnlich exotische Note in den Strassenraum und setzt der Strenge der beidseitigen Gebäudekomplexe eine duftige wie üppige Farbkaskade entgegen.
Wissend um die Heiterkeit, die der Blick in ein Blütenmeer auslösen kann, hat die Künstlerin schon 2012 für die Altersresidenz in Tägerwilen eine überzeugende künstlerische Gestaltung in Form von Siebdruck auf Chromstahl mit abstrahierten grossformatigen Blumenmotiven realisiert.
Gabrielle Obrist
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